Rezension: Legenden von Andor- Das Lied des Königs von Stefanie Schmitt

by - Juli 22, 2021

Das Genre Fantasy und ich führen eine intensive Hass-Liebe. Entweder, ich liebe ein Fantasybuch voller Hingabe, oder ich finde es grottenschlecht- zwischen diesen beiden Extremen gibt es bei mir eigentlich wirklich nichts, ein Loch in meinem Meinungsspektrum, wenn man so will. Dementsprechend sind Bücher aus diesem Genre immer mit einem gewissen Risiko verbunden- die Chance, dass ich es am Ende wutentbrannt zerreißen will, ist überdurchschnittlich hoch. 

Doch bei "Das Lied des Königs", der Vorgeschichte zu dem Brettspiel "Legenden von Andor", geschrieben von der Frau des Spieleerfinders Stefanie Schmitt, bin ich höchst erfreut, dieses "Wagnis" eingegangen zu sein. Auf Bookstagram habe ich es noch nie vorher gesehen, hatte aber dennoch recht hohe Erwartungen, da es mir von jemandem empfohlen wurde, auf dessen Empfehlungen ich stets recht uneingeschränkt vertrauen kann- auch in diesem Fall. "Das Lied des Königs" überzeugt nicht nur mit mehreren spannenden Handlungssträngen, die in einem epischen Showdown zusammengeführt werden, sondern auch mit einem kurzweiligen Schreibstil, liebevollen Illustrationen zu Beginn jedes Kapitels und einer Bandbreite an Charakteren und Wesen, die ihre eigene, sie prägende Geschichte mitbringen, am Ende jedoch ein großes Ganzes bilden und sich nicht übermäßig in den Vordergrund spielen.




Ich hatte keinerlei Vorwissen, wusste nur aus kurzer Beschreibung, worum es in den "Legenden von Andor" als Brettspiel überhaupt geht. Zu keiner Zeit des Buches war ich jedoch verwirrt oder hatte das Gefühl, eine Wissenslücke zu haben, dementsprechend kann man es hervorragend lesen, ohne jemals vorher mit dem Spiel in Berührung gekommen zu sein. Meiner Quelle zufolge sei es für Menschen, die dieses Spiel bereits gespielt haben, ebenfalls ein lohnendes Leseerlebnis- Spielcharaktere träfen sich in dem Buch zum ersten Mal, ihre Vorgeschichten würden präziser erläutert und es sei eine Art Wiedersehen mit ihnen. Also vollkommen egal also, ob die Charaktere in dem Buch für einen Fremde oder alte Bekannte sind- es ist absolut wert, gelesen zu werden!

Nimmt man den Roman das erste Mal in die Hand, wirkt er dicker, als er letztlich eigentlich ist- am Ende war ich geradezu schockiert, wie schnell die Seiten dahinflogen. Ein ganz besonderer Zauber legte sich als Lesegefühl über mich, auch wenn das jetzt wahnsinnig kitschig klingt- aber ich war einfach sehr gecatcht von der Welt und der Handlung. Vorne und hinten befinden sich auf den Innenklappen des Buches eine Karte von Andor, die ich immer mal wieder genutzt habe. Wenn Routen oder Schauplätze genauer beschrieben wurden, blätterte ich immer wieder begeistert zurück und suchte es auf der Karte, fühlte mich wie eine stille Mitreisende, die geheimnisvoll - mitten in der Nacht mit meiner funzeligen Leselampe in der Hand- den Weg von Chada, Thorn und den Schildzwergen verfolgte. Ich habe selbst über mögliche Umwege gerätselt, eine lebendige Version der zweidimensionalen Karte in meinem Kopf angefertigt, sie mit immer mehr Leben gefüllt. Andor wurde für die Zeit des Lesens zu einem zu Hause zwischen den Seiten- mit der Rietburg als Monument im Norden, umgeben von Feldern und Bauernhöfen, gedanklich betrachtet vom höchsten Zweig des Baumes der Lieder aus- Chadas Lieblingsplatz in Andor. 

Mit wenigen Worten konnte Stefanie Schmitt präzise Szenerien und Umgebungen skizzieren und Atmosphären erschaffen. Dass es aus der 3. Person geschrieben wurde war an dieser Stelle für mich absolut in Ordnung- es wurde nicht das Innere eines einzigen Protagonisten bis zum Umfallen ausgeschlachtet, sondern immer wieder konnte zwischen Handlungen gesprungen werden. Ereignisse wurden teilweise mit kurzer Überschneidung aus einer zweiten Perspektive im nächsten Kapitel noch einmal aufgearbeitet, wodurch man einen zweiten Blickwinkel erhaschen konnte und auch nie den Faden verloren hat, da die Zeitlinie dadurch stets eindeutig war. 

Freundschaft, Liebe, Heilung, Tod und Krankheiten lagen alle nah beieinander. Es gab durchaus grausame Tode- nicht, dass Kindern nun panisch die Augen zugehalten werden müssten in Befürchtung eines bleibenden Traumas, denn die harscheren Tode werden für gewöhnlich nicht weiter ausgeführt. Dennoch konnten sie das Leserherz etwas ins Stocken bringen, da es bekannte, liebgewonnene Charaktere traf- was für mich persönlich aber vor allem ein Pluspunkt ist. Viel zu oft wird vor den Sympathieträgern Halt gemacht, um den Leser zu schonen, aber ich mag es, überrascht und geschockt zu werden. All das koexistierte mit einer sanft eingeflochtenen Liebesgeschichte und starken Freundschaften, die sich in dem gemeinsamen Kampf gegen das Böse entwickelt haben, auch über die Artgrenzen hinweg. 

Der Weg zum fulminanten Showdown alleine war eine Reise für sich. Gespickt mit Sagen aus der Vergangenheit, die die Grundlage für das Verhalten mancher Wesen waren, Verderben, dass von dem Dunklen Magier und den Goren über das Rietland gebracht wurde und teilweise grenzenloser Dummheit eines gewissen Machtträgers wurde es bereits in der ersten Hälfte des Buches nie langweilig. Von Anfang bis Ende war es ein Pageturner, vollkommen kurzweilig und abwechslungsreich. 

Ich denke, dass ich noch eine ganze Weile weiter über dieses Buch und seine Vorzüge philosophieren könnte, doch es läuft alles auf dasselbe hinaus: es war kurzweilig und episch, abwechslungsreich und spannend, gut geschrieben und irgendwie süchtigmachend, dazu wirklich hübsch illustriert und somit in jeder Hinsicht ein Schmuckstück in jedem Regal. Ich bedaure zutiefst, dass es keinen 2. Teil gibt, denn ich wär die erste, die begeistert in die Buchhandlung rennen würde, um es sich unter den Nagel zu reißen. Große Leseempfehlung für ein viel zu unterschätztes und unbekanntes Buch! 




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